VORWORT
An der italienischen Riviera, ziemlich genau beim Kilometerstein 666 der Via Aurelia (Küstenstraße), das ist zwischen Arma di Taggia und San Remo zweigt die Straße nach Bussana ab. Aus San Remo kommend ist es die erste Abzweigung nach links hinter der Einfahrt ins Armeatal. Von Genua bzw. Imperia kommend stößt man ca. 1 km nach durchfahren des Tunnels hinter Arma di Taggia auf die selbe Abzweigung und biegt rechts ab.Von Bussana führt eine schmale Straße mit engen Kurven ca. 1,5 km bergauf zu einer Gabelung an der Sie nicht rechts abbiegen sondern gerade weiterfahren. Ab nun sollten Sie Bussana Vecchia (spricht sich "Busana Wekia" aus und bedeutet "Altes Bussana") nicht mehr verfehlen können, da auf diesen letzten 2 km keine Kreuzung mehr kommt. Wann Sie es erreichen werden hängt von der Verkehrslage ab. Notfalls kann man die letzten Meter auch zu Fuß gehen.
Diese letzten 500 Meter, nach der scharfen Kurve am Friedhof von Bussana, zwischen blühenden Ginster, Rosmarin, Thymian und vielen anderen Mitgliedern der Mittelmeerflora sind auch freiwillig ein schöner Spaziergang. Hier ist man schon fast auf 200 m Seehöhe und hat das Meer und die Aussicht auf das neue Bussana im Rücken, das Armeatal samt Blumenmarkt, Schnellstraße, dem Friedhof von SanRemo, ein paar Glashäusern sowie ein wenig Kleinindustrie zur Linken.
Vor sich hat man den einzigartigen Anblick auf Bussana Vecchia, und das ist keine Übertreibung. Die Häuser, teils repariert teils noch Ruinen, bedecken völlig die Kuppe des Hügels, der seitlich sofort klippenartig abfällt. Der auf misteriöse Art noch immer aufrecht stehende, obwohl doch schon ein bißchen zerfranste, barocke Kirchturm überragt den ganzen Haufen. Dieses dichte Muster aus Terrassen, Mauern, Schuttbergen und Neukonstruktionen läßt von außen nicht erkennen, höchstens ahnen, wie das Städtchen innen, auf seine verschachtelte Art, aufgebaut ist.
Wer von der schrecklichen Erdbebenkatastrophe im Jahre 1887 und der darauf folgenden (teilweise unfreiwilligen) Aufgabe des Städtchens weiß, könnte sich eine Geisterstadt erwarten. Voller Schutt und undurchdringlichen Brombeergestrüpp.
So sah Bussana Vecchia tatsächlich auch noch nach dem 2. Weltkrieg aus. Seit ca. 1961 sind einige Leute darum bemüht dies zu verändern. Offensichtlich mit Erfolg und unter Einsatz persönlicher Mittel und Kräfte.
Das inzwischen fast völlig aus dem Schutt ausgebuddelte Straßen- und Gassennetz gestattet den Besuch vieler Kunstgewerbeläden und Gallerien. Hinter jeder Ecke kann der Besucher Fantasie, Poesie, Kreativität und Antikonformismus finden. Hier arbeiten Maler, Dichter, Bildhauer, Grafiker, Musiker, Silber- und Goldschmiede, Keramiker und viele, viele mehr. Es lohnt sich bestimmt nicht, nur den Dorfeingang zu besichtigen, da die Letzten die Besten sein könnten.
Auch die Reste der beiden Kirchen sollte man gesehen haben. Auf ganz ausdauernde Naturen wartet, am höchsten Punkt von Bussana Vecchia, die Schloßruine der Grafen von Ventimiglia aus dem 12. Jahrhundert.
Diese Bezauberung ist real und fast bei jedem Besuch anders, da Bussana bei
Regen nichts mit Bussana unter Augustsonne oder im Frühjahr,
eventuell mit Wind, gemeinsam hat. Bussana bei Nacht
selbstverständlich erst recht. Man kann also getrost auch öfters
dieses wundersame Städtchen besuchen.
Der Ursprung der Stadt Bussana Vecchia ist fern und geheimnisvoll sowie
auch der Name selbst. In der Tat, einige sagen, daß der Name
von der reichen römischen Familie Vipsania stammt, die den Ort
als Kolonie besaß. Andere meinen, daß er von "Fundus
Lucianus" herkommt und später von "Buccianus" zu
"Bussanus" wechselte.
Jemand anderer dagegen schrieb mit Optimismus und Harmlosigkeit den Namen
der Luft zu: "Bis-sana" das heißt "zweimal(bzw.
doppelt)-gesund". Wegen Bergluft und Seeluft gemeinsam.
Eines ist gewiss; vor zweitausend Jahren bestand eine römische
Kolonie, die "Armenide" hieß. Sie war eine
Niederlassung am linken Ufer des Wildbaches Armea, der dem Tal den
Namen gibt. Es gibt viele Belege einer antiken Existenz in Form von Hausruinen,
eines Tempels und Gräbern die im vorigen Jahrhundert gefunden wurden.
Bekannt ist auch die schicksalshafte Vergangenheit des Dorfes. Zuerst mit den
punischen Kriegen, wegen des Bündnisses der "Ingauni"
und der "Intermeli" (der alten Ligurer), die bald für
Rom, bald für Karthago Partei ergriffen. In Ligurien und entlang
der französischen Küste herrschte grauenhafte Verwüstung.
Die Langobarden, Saracenen und Genuesen wechselten einander in der
Unterwerfung und Plünderung der Ligurer ab. Die Bevölkerung,
die vom Ackerbau und Handwerk lebte, wurde von den barbarischen
Horden des Rotaris im achten und neunten Jahrhundert zerstreut.
Einige wanderten bis Biot bei Antibo aus. In Antibo, dem bedeutenden Zentrum
der Töpferkunst, hat sich bis heute der alte Dialekt der
Bussanelli teilweise erhalten. Vor der Auswanderung lebten die
Bussanelli schon vorwiegend von ihrer Töpferei, denn die
Tonhänge vom späteren Bussana Vecchia waren ein ideales
Abbaugebiet. Vielleicht waren sie die Gründer der heutigen
Töpferkunst von Antibo.
Das Dorf Bussana lag ursprünglich an der äußersten Spitze
von Capo Marino und wurde an eine andere Stelle, ungefähr vier
Kilometervon der Mündung des Armea, verlegt. Dort wurde eine Kapelle
gebaut deren Reste noch heute existieren. Auch hier erlitten die
Verbliebenen Plünderungen, Vergewaltigungen und Entweihung durch
die "Mori" aus Afrika und Spanien.
Die Grotte von Arma bot ihnen eine natürliche, beinahe uneinnehmbare
Festung und wurde Ausgangsbasis ihrer Streifzüge. Die Legenden
sind voll von Gefechten, Blut, Verrat und Liebe. Noch heute sehen wir
die Gespenster der alten Saracenen in den Gesichtern mancher
zeitgenössischer Ligurer.
Diesmal flüchteten die Überlebenden, der ewigen Beraubung satt, auf
den Hügelausläufer, der in etwa 200 Meter Seehöhe, auf
drei Seiten von Abgründen geschützt, das Tal beherrscht.
Hier entstand nun das aktuelle Bussana Vecchia. Jahrzehntelanger
Gewalttaten, Entsetzens und Verwüstung müde zeigten die
ungebrochenen Ligurier endlich bewaffneten Widerstand und jagten die
Angreifer über das Meer zurück auf ihre Burg "Frassinetto"
in Villafranca bei Nizza.
Weitere Zerstörung erlitt die Bevölkerung von Bussana, Taggia und
Arma durch Baliano Doria, Herrscher von Genua, der annahm es handle
sich um ein Versteck seiner politischen Feinde.
In der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts fiel Bussana
unter die Herrschaft der Grafen von Ventimiglia, dem Geschlecht des
"Schwarzen Kosaren", berühmt und berüchtigt wegen
seiner Seeraubzüge. Der Graf Ottone baute am höchsten
Punkte des Dorfes ein Schloß.
Ein Jahrhundert darauf kam ganz Ligurien unter die Macht von Genua.
Später, im Jahr 1815 verlor Genua seine Gebiete an die Savoysche
Monarchie. Während der vielen Jahrhunderte bekamen die Ligurier,
mit dem mildesten Klima Europas gesegnet, nicht nur die Dramen der
Kriege zu spüren, sondern auch viele Erdbeben unterschiedlicher
Stärke.
Von 1222 bis 1908 hat man 20 wichtige Erdstöße registriert.
Den schlimmsten davon am 23. Februar 1887 fielen 54 Bewohner zum
Opfer. Dies war der Grund zur endgültigen Aufgabe Bussanas (ab
jetzt Bussana Vecchia genannt) und zur Rückkehr an die alte
Stelle von der man vor zwanzig Jahrhunderten kam.
Am ersten Tag der Fastenzeit, um 6:25 Uhr, begann die große
Pfarrkirche, in der die Gläubigen gerade das Heilige Sakrament
empfingen, unter den ersten Erdstößen zu beben. Sie warf
ihre goldfarbenen Stuckbrösel, Wandgemälde und
Heiligenfiguren aus Holz und Gips auf die schläfrigen Frommen.
Grell mischten sich die Schreie und klagenden Rufe der Verletzten und
ihrer Angehörigen mit dem Geknister und Geprassel des
ehrwürdigen Gemäuers.
Die Stimme des Pfarrers versuchte die eingeschüchterten Lämmer
zu beruhigen, die Schutz unter den seitlichen Arkaden suchten und
auch fanden.
Alles drohte im Höllenlärm des Mörtelschuttes und
staubgesättigter Luft zu versinken. In der Tat, mit dem zweiten
teuflischen Beben brach der große Bogen des zentralen Schiffes
und begrub die drei Personen, die noch nicht eilig genug Schutz
gesucht hatten.
Andere blieben eingekerkert unter den Trümmern ihrer Häuser, im
Schlaf, oder beschäfftigt mit mäßiger Speise vor
alltäglichem Arbeitsbeginn, überrascht. Kaum war die
Bestürzung überwunden, als die Verschonten mit der Suche
nach vermißten
Freunden und Verwandten begannen. Sie gruben nach Verwundeten in den Trümmern
und versuchten ihnen zu helfen.
Aber das Unglück gab sich noch nicht zufrieden und entlud nochmals
seine Wut. Um etwa 9 Uhr tobte ein neuer schwerer Erdstoß, der
vieles wieder begrub, was eben erst freigelegt worden war.
Viele Opfer wurden so ein zweites Mal, manche für immer, begraben. In
den Chroniken der Epoche können wir über rührende und
dramatische Episoden lesen. Wie viele junge Menschen im schönsten
Lebensalter gestorben sind oder Mütter, die unter Bedrohung des
eigenen Lebens, versuchten ihre Kinder zu befreien. Einige der
lebendig Verschütteten wurden erst nach fünfzig Stunden,
der Finsternis und Hoffnungslosigkeit, gerettet. Nach 27 Tagen wurde
noch ein lebender Hund unter den Trümmern gefunden.
Der ans Schloß angrenzende und dichtest bewohnte, obere Teil des
Dorfes, "Le Rocche" genannt, war am zerstörtesten.
Die etwa 1000 vom Hunger gequälten, arbeitsamen Bewohner lebten nun
auch noch in Angst vor Seuchen. Hilfe kam nur verzögert von
außen, da die damaligen Nachrichtenverbindungen langsam und
ungenau waren und außerdem Bussana nicht die einzige
Bebenstätte in Ligurien war. Der rührige Pfarrer Don
Lombardo half seiner so hart getroffenen Gemeinde in absolut
beispielhafter Weise. Er warb um die benötigte Hilfe bei zivilen
und religiösen Autoritäten.
Auf Abbildungen aus dieser Zeit kann man die Baracken und Zelte erkennen,
die für die Geschädigten sieben Jahre lang ein kärgliches
Heim boten. Danach begannen sie unten an der Via Aurelia einen neuen
Ort aufzubauen. Der Staat und viele fremde Länder beteiligten
sich mit finanzieller Unterstützung am Wiederaufbau der vom
Erdbeben zerstörten, beachtlich großen, Zone der Provinzen
Genua, Savona, Porto Maurizio und Cuneo in Italien sowie Nizza mit
Umgebung in Frankreich.
Das Bussana des Schwarzen Kosaren blieb in der Gewalt des Regens, der
wilden Stürme und der Vegetation, die es bald überwucherte.
Um Baumaterial herzugeben, erlitt es neue Zerstörung.
Der letzten menschlichen Zeugnissse beraubt, bot es Unterschlupf und
Obdach für Straßenräuber, Missetäter,
Flüchtlinge, wilde Tiere, Soldaten beider Weltkriege und
Widerstandskämpfer. In neuer Zeit filmten Kinofachmänner
falsche Schlachten mit echten Explosionen und verursachten
leichtfertig neue Schäden. Auch fand armes Volk aus dem Süden
hier Unterschlupf.
Sie arbeiteten in den Blumenpflanzungen dieser Zone, dem neuen Reichtum
dieses Landes. Die Behörden von SanRemo veranlaßten, um
Unfälle zu vermeiden, daß das Dorf geräumt wurde und
verursachten die vorläufig letzte gewaltsame Zerstörung.
Fast alle Fußböden und die hundertjährigen Gewölbe,
die alle bösen Zeiten überstanden, sie fielen der
Spitzhacke und dem Presslufthammer zum Opfer.
Übrig blieben nur zwei Personen. Eine kleine alte Frau, "Francesca dei
gatti" (Katzen Francesca). Sie sammelte und sättigte, man
weiß nicht wie, streunende Miezen. Ottavio, ein sehr unternehmungslustiger
Achzigjähriger, der die wenigen Besucher mit Wein labte. Er
schien wie der Aufseher der "Villa dei Miracoli" von
Pompeji zu sein.
Seit über ein halbes Jahrhundert, war Bussana Vecchia kein Dorf mehr,
sondern ein mit dem Hügel verschmolzener Trümmerhaufen.
Geeigneter Treffpunkt für Romantiker und Liebespaare sowie
geisterhafter Zeuge einer längst vergangenen furchtbaren
Tragödie.
Am Anfang der sechziger Jahre lebte Bussana Vecchia im Werk weniger
Pioniere wieder auf. Sie liebten die Stille dieser Steine und
brachten neues Leben zurück.
Nach und nach kamen viele Künstler und Kunsthandwerker aus allen
Teilen der Welt und gruben unter den Trümmerhaufen die Straßen
und Keller frei. Sie reparierten zerborstene Mauern, durchbrochene
Gewölbe, wobei sie auf die Eigenart der alten Bauweise bedacht,
die Originalität der Gebäude wahrten. Langsam, Stein auf
Stein, reparierten sie das Dorf, wie zu alten Zeiten.
Maler, Bildhauer, Töpfer ...... und viele mehr, fanden in der damaligen
Ruhe und dem Frieden von Bussana Vecchia das nötige geistige
Klima für ihre Arbeit.
GESCHICHTE & LEGENDE
DAS ERDBEBEN VON 1887
JÜNGERE GESCHICHTE
DAS KÜNSTLERDORF